Christa Brüstle
 
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Projekte / Texte

 
 

 

  • 2006

 

Texte zu Silvia Ocougne

Informationen unter www.oxuma.de

   

 

  • 2005

 

Einführung zu Klanginstallationen


Einführung zu den Klanginstallationen Missing Mars von Roswitha von den Driesch und Jens-Uwe Dyffort sowie Tension von Ralf Hoyer und Susanne Stelzenbach
(Festival Pyramidale 4 "Kosmos" am 25./26. November 2005 in Berlin)


Klangkunst und im speziellen Klanginstallationen werden anders rezipiert als ein "normales" Konzert. Im Konzert wissen die Besucher, was sie zu tun haben: sie kaufen (normalerweise) eine Eintrittskarte, suchen sich einen Platz, die Musiker sitzen in der Regel vor ihnen auf dem Konzertpodium, wenn das Stück zu Ende ist, dann dürfen sie Beifall geben, wenn das Konzert zu Ende ist, dann gehen sie nach Hause. Bei der Klangkunst gelten diese Rituale im Prinzip alle nicht. Stattdessen wird eine Installation eröffnet oder in Gang gesetzt, und dann ist das, was gezeigt und zu Gehör gebracht wird, für eine gewisse Zeit permanent vor Ort. Zu einem Besuch kann man sich selbst entscheiden, und man kann auch die Verweildauer selbst bestimmen: die beiden zu eröffnenden Installationen - hier in der Pyramide Tension von Ralf Hoyer und Susanne Stelzenbach, und dann im Untergeschoss Missing Mars von Roswitha von den Driesch und Jens-Uwe Dyffort - sind bis zum 6. Januar 2006 eingerichtet und können jeweils Dienstag bis Freitag 10-18 Uhr besucht werden. Die Künstler sind nicht immer anwesend, denn ihre installierten Werke benötigen zwar regelmäßige Kontrolle, aber sie funktionieren im Prinzip als selbständige Einrichtungen - sie wurden technisch so angelegt, dass sie über einen längeren Zeitraum in Betrieb sein und wahrgenommen werden können. Die Rezeptionssituation gleicht also eher dem Besuch einer Galerie oder einer Ausstellung von Objekten, in der man umherwandern kann, und in der man seine "Standpunkte" und Betrachtungs- sowie Hörperspektiven selbst zu finden aufgefordert ist. Insofern liegt der Schwerpunkt dieser künstlerischen Arbeiten auf dem Prozess der Wahrnehmung. Dieser ist zunächst immer verbunden mit den Fragen: "Was geschieht hier eigentlich? Was höre ich? Was sehe ich? Was ist hier eigentlich los?" Wenn ich als Besucher und Rezipient darauf erst einmal keine, wenig oder unbefriedigende Antworten finden kann, wenn sich erst im Laufe der Zeit an das künstlerische Angebot eigene Interpretationen und Sinn-Gebungen allmählich anlagern, dann eröffnet sich bereits ein Mikro-Werk-Aneignungs-Interpretations-Kosmos, den man langsam auskundschaften kann, genauso, wie man sich vor langer Zeit schon aufgemacht hat, den großen Kosmos zu entdecken und zu erklären.
Den großen Kosmos, das Universum, hat man auch erst Schritt für Schritt entdeckt: er ist zum Beispiel auf das Handeln von Göttern und Geistern bezogen worden, dann begannen Wissenschaftler sich mit den Gesetzmäßigkeiten des Universums zu beschäftigen, Instrumente wurden entwickelt, die Beobachtung des Himmels und der Erde zu verbessern, daraufhin konnten die Theorien über die Gesetze wieder kalibriert werden. Diese Spirale hält an, gerade weil jetzt auch Instrumente eingesetzt werden, die nicht mehr auf der Erde festgemacht sind. Sie werden ins All geschickt, um eine zuvor ungeahnte physische Nähe zu den fernen Welten aufzubauen, deren vermeintlich direkter visueller Eindruck mit Hilfe moderner Übertragungstechnik uns dann ins Wohnzimmer geliefert werden kann - vermeintlich direkt oder vermeintlich real deshalb, weil es sich immer um mediale Bilder und Bildinszenierungen handelt. Es geschah so im Kontext der Erkundungen des Monds, es gelang mit einer Sonde auf dem Mars, und dieses Jahr startete die Exploration der Venus (Venus Express, 9. November 2005).

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Die Erkundung des "kleinen Kosmos" der Klanginstallationen beim Pyramidale-Festival geschieht mit Instrumenten, die alle Besucher bereits mitgebracht haben: mit dem menschlichen Körper, den Gliedern, den Sinnen, den Gedanken, der Phantasie. Die beiden Installationen sind mit sehr verschiedenen Arbeitsansätzen für zwei Räume in diesem Gebäude konzipiert worden, insofern geben sie dem Besucher ganz unterschiedliche Anknüpfungsmöglichkeiten. Einige Punkte seien herausgriffen, dabei beginne ich mit Missing Mars (im Untergeschoss der Pyramide). Roswitha von den Driesch und Jens-Uwe Dyffort arbeiten als Team in bildender Kunst/visueller Kunst/Medienkunst und Komposition seit 1994 zusammenarbeiten (www.dyffort-driesch.de). Sie vereinigen in ihren Installationen häufig Klangkompositionen und projizierte oder präsentierte Bilder (u.a. Fotos, Video- oder Diaprojektionen). Hauptthema ihrer Arbeiten ist der Zusammenhang zwischen Architektur, also gebauten und gestalteten Räumen, und deren Standorte als Orte mit einer lebendigen Geschichte und Gegenwart im Innen und im Außen. Es geht um eine Sensibilisierung für das, was an einem Ort geschehen ist, was dort stattfinden könnte oder für Dinge, die im Moment des Besuchs dort vor sich gehen (oder alles dies zusammen). Diese drei Ebenen implizieren erstens Erinnerung und Gedenken, zweitens die Imagination von Situationen in Räumen, also die Verknüpfung von verschiedenen Vorstellungswelten, und drittens die Berührung und Beeinflussung der gegenwärtigen Situation. Klänge, Musik, Sprache und Bilder sowie Atmosphären können diese Ebenen auf vielfältige Weise ansprechen und aktivieren. Man benötigt dabei nicht immer eindeutige Bilder und klar erkennbare Geräusche oder den 1:1 gesetzten Zusammenhang von Bild und Ton, man benötigt auch nicht genaue Erklärungen und Gebrauchsanweisungen für eine künstlerische Rauminstallation, um sich in diesem Mikrokosmos zurechtzufinden. Es genügen oft Andeutungen, um das Spiel mit der Wahrnehmung in Gang zu setzen.
Missing Mars bezeichnen die beiden Künstler als "vertonte Diaprojektion" (sie wurde in einer ersten Variante 2004 im Zeiss Großplanetarium Prenzlauer Berg vorgestellt und für die Pyramidale 4 mit einer Videoprojektion neu konzipiert, d.h. die visuelle Ebene wurde neu hinzugefügt). Die akustische Grundlage hierfür bilden Texte aus der Geschichte der Erforschung des Planeten Mars aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wobei die wissenschaftlichen Diskurse mit Illusionen und Utopien über mögliches Leben auf dem Mars verknüpft sind - biologisches ebenso wie soziales Leben oder soziale Utopien (verwendet wurden hauptsächlich die "corrispondenza su marte" des italienischen Astronomen Giovanni Schiaparelli). Gesprochen sind die Texte von Michael Hirsch und Christian Kesten. Die visuelle Ebene der Installation ist keine Bebilderung dieser Sprachkomposition, sondern sie steht kommentierend - vielleicht sogar eher irritierend - neben den Texten. Sie bietet ein eigenes, die Aufmerksamkeit auf sich lenkendes Feld, das dafür sorgen kann, den Inhalt der Texte ab und zu oder für eine unbestimmte Zeit auszublenden. Ein freies Floaten zwischen akustischer und visueller Ebene wird möglich, das dem Besucher einerseits suggeriert, über das Textverständnis der Sache ganz nahe zu sein (dabei wird man allerdings in ferne Gedankenwelten hineingezogen). Andererseits wird deutlich, dass die Momente des Entzugs von eindeutigen Bildern oder eindeutigen Aussagen keine Entfernung von der augenblicklichen Situation bedeuten, sondern, im Gegenteil, gerade der Entzug von klaren Aussagen oder klaren Bildern aktiviert das aktuelle Fragen und Suchen nach dem Sinn des Ganzen. (Genauso wie in der Wissenschaft weniger durch erzielte Ergebnisse als vielmehr durch neue Probleme und Aufgaben häufig die wichtigsten Impulse gewonnen werden.)

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Betrachten wir nun die zweite Installation: Tension von Susanne Stelzenbach und Ralf Hoyer, die seit etlichen Jahren als Musiker- und Komponistenduo zusammenarbeiten. Sie haben gemeinsam nicht nur das Festival Pyramidale 2002 ins Leben gerufen, sondern sie sind auch mit dem eigenen Musikensemble "ensemble piano plus" (seit 1994) und vielen anderen Interpreten in Konzert- und Musiktheater- sowie live-elektronischen und installativen Musik- und Medienprojekten international tätig (www.hoyerstelzenbach.de). In ihren Arbeiten spielt der Austausch zwischen live gespielter Musik und der elektronischen Klangerzeugung und Klangveränderung eine zentrale Rolle (dieses Wechselspiel zeigt sich auch in vielen ihrer Arbeiten mit Video: die Koppelung der Live-Aktion mit ihrer Aufnahme und Wiedergabe über Video und die Benutzung von bildbearbeitenden Verfahren). Die Thematisierung des Raums in Konzerten und Installationen bezieht sich bei Susanne Stelzenbach und Ralf Hoyer also häufig auf den Aufführungsraum - damit ist nicht in erster Linie der Raum des Konzertpodiums gemeint, sondern vielmehr der interaktive Raum der Musiker oder der Komponisten untereinander. Es ist ein sozialer Raum, zu dem auch das Publikum gehört, den das Publikum mitverfolgen, in dem das Publikum aber auch überrascht werden kann. Das Kollektiv der Zuschauer und Zuhörer hat nicht die Möglichkeit direkt einzugreifen, ist aber mit seinen Reaktionen und zudem in der Eigenschaft als Kollektiv von Zeugen in das Geschehen unmittelbar involviert.
Mit der Klanginstallation Tension ist das Künstlerduo nun auf den ebenerdigen architektonischen Raum der Glaspyramide (Veranstaltungsort Pyramidale) eingegangen. Der Raum wurde mit langen Drahtseilen verspannt, die durch Lautsprechermembrane in Bewegung versetzt werden. Jedes Seil schwingt in bestimmten Frequenzen, die genau auf seine Länge abgestimmt sind, damit die Schwingungen der Drahtseile gut sichtbar werden. Der visuelle Aspekt dieses Aufbaus - neben den entstehenden Klängen - bietet nun auch einen ganz eigenen Reiz. Da die Schwingungen wellenförmig verlaufen, kann man sehr gut beobachten, wie sich die unterschiedliche Bewegung der Drahtseile auswirkt. So ist es faszinierend, an den gespannten Drahtseilen entlang zu wandern und ihre jeweilige Bewegungsanregung sowie ihr Schwingungsverhalten zu beobachten. Der ganze Raum wird gewissermaßen zu einem überdimensionalen, schillernden Saiteninstrument. Die Resonanzen der Schwingungen sind überall zu spüren, an den Heizkörpern, an der Wendeltreppe, auf dem Fußboden, an den Säulen, an den Wänden usw. - die Klangpräsenz ist viszeral/körperlich aufzunehmen -, man befindet sich also mitten in diesem ‚Klangkörper', zu dem das Gebäude sich gewandelt hat. Scheinbar handelt es sich um einfache physikalische oder akustische Phänomene, die gut zu hören und zu sehen sind. Doch es ist nicht nur professionelle technische und elektrotechnische Versiertheit und die Erfahrung mit solchen Klangphänomenen notwendig, um dieses große Instrument einzurichten und zu justieren. Gleichzeitig verbergen sich hinter den akustischen Phänomenen mathematische Gesetzmäßigkeiten, die in ihrer Erforschung bis in die Antike zurückreichen. Die Verbindung von Bewegung, Klang und Mathematik führte übrigens schon damals dazu, sich über die Zusammenhänge von Bewegung im Universum und Klang Gedanken zu machen.
Die weit ausgebreiteten, schwingenden Saiten in Tension können ganz aus der Nähe betrachtet werden, ihre Grundlagen und ihre Wirkungsweise verführt jedoch dazu, sich in entfernte Fragen zu vertiefen. Der Titel der Installation Tension enthält die Dimension von Annäherung und Entfernung, die die beiden Künstler bereits in einer früheren MusiktheaterInstallation im Hamburger Bahnhof (1999) als thematische Vorlage umgesetzt haben. In Tension findet eine Fortsetzung, aber auch eine Vertiefung dieser Arbeit statt. Annäherung und Entfernung kommen hier in eine Konstellation, die dem mehrdimensionalen Raum des Erlebens und gleichzeitig den enigmatischen Feldern von Missing Mars an die Seite tritt.


© Christa Brüstle

 

  • 1996

 

Dissertation

Anton Bruckner und die Nachwelt. Zur Rezeptionsgeschichte des Komponisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1998, 391 S.
(das Buch ist vergriffen)

Mit diesem Buch liegt eine detaillierte Untersuchung der Bruckner-Rezeption für den Zeitraum zwischen seinem Todesjahr 1996 bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts, insbesondere für die Zeit des Nationalsozialismus, vor. Dabei wird die Geschichte der Bruckner-Gesellschaften und die Entwicklung der Bruckner-Forschung in den dreißiger und vierziger Jahren auf der Basis bisher unbekannter Dokumente dargestellt. Es zeigt sich, in welchem Ausmaß die politische Vereinnahmung Bruckners sowohl durch den Einsatz der Verehrergemeinden als auch durch die Werbung für das damals musikwissenschaftlich neu entdeckte "Original" der Brucknerschen Kompositionen mitgetragen wurde. Viele Topoi der Bruckner-Literatur, so das Bild vom heimatverbundenen und volkstümlichen Künstler, waren dazu geeignet, in den NS-ideologischen und -kulturpolitischen Kontext übernommen zu werden. Bruckner erscheint als Objekt der Interessen seiner Nachwelt: von Biographen und Interpreten, von ehemaligen Schülern und Freunden, apologetischen Vereinsmitgliedern und aufstrebenden Musikwissenschaftlern.


Inhalt:

Einleitung

I. Stationen der Bruckner-Interpretation bis 1930
  1. Neue Herrschaft der absoluten Instrumentalmusik
  2. Ein "Drama von Kräften"
  3. Genie, Heiliger, Narr
  4. Deutsche Musik aus Österreich

II. Organisierte Verehrergemeinden. Die Internationale Bruckner-Gesellschaft

III. Bruckner "original": Musikphilologie und Ideologie
  1. Einblicke in die Entstehung der ersten Bruckner-Gesamtausgabe
    a. Anfänge und Gründung des Musikwissenschaftlichen Verlags
    b. Zur neunten, ersten, sechsten, fünften, vierten und zweiten Symphonie
    c. Der Ausgleich mit Universal Edition
    d. STAGMA
  2. Zur Propaganda um die "Originalfassungen"
    a. Der Streit um den "echten" Bruckner
    b. Politisch-ideologische Implikationen
    c. Zur achten Symphonie

IV. Organisierte Verehrergemeinden. Die Deutsche Bruckner-Gesellschaft (mit Anmerkungen zur siebten Symphonie)

V. Das Echo in Amerika und England

Anhang: Dokumente
Benutzte Bruckner-Ausgaben
Literaturverzeichnis
Personenregister